Schließlich wandte Richie sich dem Haus zu, es lohnte nicht noch länger zu verweilen und aufkeimenden Gedanken und Zweifeln Raum zu geben. Während er über den Kiesweg auf das Hauptportal zuschritt und die kleinen Steinchen unter jedem seiner Schritte knirschten, dachte er darüber nach, wie er vorgehen sollte.
Joanna, seine Verlobte, würde heute zweifelsfrei mit ihrem Vater zu Besuch sein, das hatte ihm ein Angestellter versichert, den Richie, um der "Überraschung" willen, zum Schweigen verpflichtet hatte. Oh sie alle würden überrascht sein, denn bislang wusste niemand in seiner Familie von Richies Wandel zum Dark Jedi. Für seine Verwandten war er noch immer Commodore der imperialen Navy und äußerlich ließ er momentan auch nicht auf anderes schließen, zumindest deuteten Jeans und einfaches Sweatshirt, die er trug, nicht unbedingt auf einen Ordenskrieger hin.
Richies Blick fixierte das massive Hauptportal und während er die Klingel betätigte, flammte in ihm der Hoffnungsschimmer auf, dass Joanna vielleicht doch nicht kommen würde und er noch einmal um diese Sache herumkommen würde. Doch natürlich war dies nur Illusion, Wunschdenken, er hatte ihre Präsenz längst gespürt, eine warme, liebliche Präsenz, ganz anders als alles, was er bislang mit seinen neuen Kräften abgetastet hatte.
Einer der Buttler der Familie öffnete die Tür vor seiner Nase und blickte ihm einen Moment lang verduzt in die Augen, seltsam entstellte Augen, die hier jedoch natürlich bestens bekannt waren. "Master Richard, welch unerwartete Freude. Hattet ihr eine angenehme Anreise?" fragte er seinen Herrn schließlich. Als dieser nur stumm abwinkte fügte der Buttler hinzu "die Familie diniert zur Zeit im Salon, ich werde euer Beigesellen der Küche melden, Herr". "Jaja...danke" murmelte Richie und stieg die rechte der beiden Rundtreppen in der Eingangshalle hinauf, bog in den rechten Korridor ein und befand sich nur noch einige Schritte vom Salon entfernt. Er wusste, dass es ihm nicht dienlich sein würde, wenn er jetzt nochmals innehalten würde und so legte er im Lauf die Hand auf den breiten Türflügel, drückte ihn nach innen auf und stand in einem geräumigen und stilvoll eingerichteten Esszimmer...vor seiner Familie.
Alle Gespräche waren abgebrochen, für einen Moment herrschte Stille, beinahe unerträglich für Richie in dessen Situation. Sechs verblüffte Augenpaare mussterten den "Eindringling" und langsam ließ sich Begreifen von ihnen ablesen. Richies Schwester Rinoa war die Erste, die das unangenehme Schweigen brach, als sie von ihrem Stuhl aufsprang, auf Richie zulief und sich diesem um den Hals warf. "Rich! Was machst du denn hier? Schön, dass du da bist! Wie lange bleibst du? Lange?" prasselten mit hoffnungsvollem Blick die Fragen auf ihn ein. "Nur kurz...viel zu kurz" murmelte Richie kaum verständlich, während sich der Rest seiner Familie um ihn versammelte. Er hatte sie seit knapp 1 1/2 Jahren nicht mehr gesehen und das Letzte, was sie von ihm gehört hatten, waren seine kurzen Versicherungen, dass es ihm den Umständen entsprechend gut gehe, nachdem das Militär Richies Familie von dessen lebensgefährlicher Verletzung im Gêkhâreinsatz unterichtet hatte. Nachdem sich erst Leo und dann auch Mutter und Vater Rinoas Beispiel angeschlossen und Richie in die Arme geschlossen hatten, stand er plötzlich und irgendwie trotz allem unvorbereitet seiner Verlobten gegenüber. Joanna begrüßte ihn mit einem Kuss, der irgendwie lieblos wirkte und Richie fragte sich ob das allein an seiner Empfindung lag. Nach einigen weiteren ausgetauschten Floskeln im Stehen, setzte sich die Gesellschaft wieder um mit dem Abendessen fortzufahren. Auf die Fragen nach dem Militärdienst und damit zusammenhängenden Dingen, antwortete Richie nur ausweichend, dass es zur Zeit große Veränderungen geben würde und es nicht leicht sei, mit der Situation klarzukommen. Zugleich würde diese Aussage auch seine Familie beruhigen, die Richies distanziertes Verhalten auf Stress am Arbeitsplatz zurückführen würde. Und so nahmen die Gespräche bei Tisch hauptsächlich ohne Richies Beteiligung ihren weiteren Fortgang.
Einige Minuten später, saßen alle in einem der Wohnzimmer des Anwesens, Richie in der Mitte eines Sofas, links von ihm Joanna und rechts seine kleine Schwester. Als er nach dieser langen Zeit nun Joanna wieder so bei sich hatte, nebst Rinoa, die die beiden leicht verträumt betrachtete, da wusste er, dass er es einfach nicht tun konnte, nicht hier. Es würde doch reichen, wenn die Bindungen anders gekappt werden würden und mit seiner Familie, sollte das wirklich noch nötig sein, würde er sich schon etwas einfallen lassen. Noch einige weitere Minuten so denkend, wandte er schließlich den Kopf seiner Verlobten zu ohne sie jedoch direkt anzusehen. "Weißt du Joanna, ich habe nachgedacht...der Dienst und alles...ich kann momentan kaum noch klar denken und bin gebunden an gewisse Dinge...ich...vielleicht sollten wir einfach eine Pause einlegen. Was sagst du dazu" fragte er zögernd und fügte in Gedanken hinzu und vielleicht wird sich das Problem in dieser Zeit ja auf die ein oder andere Art von selbst lösen. Für einen unterträglich langen Moment sprach keiner im Raum ein Wort, seine Familie musste vollkommen überrascht sein und Joanna? Joanna blickte ihn traurig an und schon wollte er sich abwenden, als seinen geschärften Sinnen klar wurde, dass es keine Traurigkeit war, die in ihrem Blick lag...es war etwas anderes...Schuldbewusstsein.
Joanna tauschte einen zaghaften Blick mit ihrem Vater, dann sprach sie leise "Weißt du..." "Es gibt einen anderen oder?" warf Richie ein "So ist es doch..." Joanna begann zu schluchzen. "So ist es doch" wiederholte ihr Verlobter nun lauter. Joanna schluchzte. "SAG ES MIR!" brüllte Richie nun, der langsam die Fassung verlor. Sicherlich er hatte ja selbst eine Trennung vorgehabt, aber doch nur aus Rücksicht und weil er sie liebte und was musste er nun erfahren? Ihre warmen Worte die ganze Zeit über, alle Hoffnung, alle Liebe, sollte eine Lüge gewesen sein? "d...du warst doch so oft weg und ich war so einsam" mittlerweilte war Joanna in Tränen ausgebrochen. "Und Milo war immer da um mich zu trösten" "Milo?" fragte Richie. "Ja, Milo Trench, mein Collegefreund, er wohnt jetzt wieder in der Gegend, ach Rich...wir waren damals auf dem College schon ein Paar und nun...am Anfang...es war ja nur...und dann" Kalte, bittere Wut brodelte in Richie und nahm stetig zu, mit jedem neuen Wort, mit jedem neuen Schluchzen. Mit bebender und doch leiser Stimme flüsterte er beinahe "habt...habt ihr...?" Joanna senkte nur den Blick, doch das war Richie Antwort genug. Er war nun vom Sofa aufgesprungen. "Wie es mir geht hast du gefragt, dass du mich vermisst, wie toll es mit mir ist und die ganze Zeit...die GANZE ZEIT HAST DU MIESES FLITTCHEN MICH HIER BETROGEN" Richies Schnittwundennarbe auf der Stirn begann leicht zuschmerzen, als sich tiefe Zornesfalten darüber zogen. "aber ich...aber du hast doch selbst gesagt..." stammelte Joanna.
Und dann war der Moment gekommen an dem alle alternativen Pläne, alle Vorsicht und alle Tarnung in einer einzigen Woge der Wut hinweggefegt wurden. Hätte Richie in diesem Moment klar denken können, er hätte sich wohl gefragt, ob Nick, sein Meister, all dies vorausgesehen hatte, seinen inneren Kampf, seine jämmerlichen Bemühungen einen anderen Weg zu finden...nur um am Ende dann doch an seinem eigenen Wesen zu scheitern und ihn, Lord Krason, rechtbehalten zu lassen.
Nun erhob sich auch Joanna vom Sofa, im Gegensatz zu Richie jedoch unfreiwillig. Mit einem Ruck wurde sie hochgerissen und hing nun vor dem Dark Jedi in der Luft, dessen zornflammender Blick aus gleichsam kalten Augen auf ihr brannte. Völlig aus der Fassung gebracht und nicht wissend, was mit ihr im Augenblick geschah, schrie Joanna aus Leibeskräften und zappelte wie wild, was jedoch natürlich keine Lockerung ihres unsichtbaren Griffs bewirkte. "Wie kannst du es wagen mich zu belügen und zu betrügen...du hast mich und alles was wir hatten also einfach so weggeworfen? Ich werde dir zeigen, wie verletzend es sein kann, wenn man weggeworfen wird" mit einem unwirklichen Lächeln wischte der zorngelenkte Richie eine Hand vor Joanna vorrüber, die daraufhin durch den Raum geschleudert wurde und an die Wand prallte. Ein unnatürliches Knacken begleitete den Aufprall, das nicht von der Wand zu kommen schien. Kleine Risse zogen sich nun über die tapezierte Wand und ein wenig Staub rieselte von der Decke herab, ein Tischchen war umgefallen und die daraufstehende Vase zu Bruch gegangen, doch niemand schenkte diesen Nebensächlichkeiten seine Aufmerksamkeit. Die entsetzen Blicke der Familienmitglieder waren auf Joanna und den rassenden Richie gerichtet, der Joanna nun wie eine Spielzeugpuppe durch den Raum schleuderte, stets gefolgt von einem heftigen Aufprall an einer der vier Wände, der den Anwesenden nicht nur aufgrund der Erschütterung der Statik durch den Leib ging.
"Aaaaaah, hör auf, hör auf, hör auf. Bitte, hör auf, Rich" so war Rinoa schließlich die Erste, die sich aus der Passivität des entsetzten Zusehens löste. Sie stand heulend bei ihrem Bruder und trommelte ohne große Krafteinwirkung mit ihren Fäusten auf seine Brust ein. Ein schneller Streich seiner Hand, diesmal jedoch ohne Einwirkung der Macht, sondern mit direktem Kontakt, fegte seine kleine Schwester schließlich zu Boden, wo sie sich heulend die Wange hielt und Richie mit unendlich traurigen Augen fassungslos anstarrte. Dieser Blick letztlich war es, der etwas tief in Richie, unter allem Zorn berührte und ihn endlich innehalten ließ. Seine Hand sank herab und so tat es auch Joanna, die mit einem letzten dumpfen Hall auf den blutüberströmten Teppichboden des Wohnzimmers herabfiel und reglos liegen blieb. Vermutlich war sie schon vor vielen Aufprällen verstorben.
Richie wandte sich unvermittelt zur Tür und ließ seine einstige Liebe, die er grausam ermordert hatte und seine verstörte Familie einfach so zurück. Der Wille seines Meisters war erfüllt worden, beides würde schon bald zu Richies Vergangenheit werden, zum Teil eines Lebens, das der mächtige Dunkle Orden ohne zu Fragen eingefordert und getilgt hatte. Richie erlaubte sich gar nicht erst jetzt über das Geschehene nachzudenken. Er hielt seinen Zorn aufrecht und flüchtete sich in ein Gefühl der Stärke und Erhabenheit, während er das Haupthaus hinter sich zurückließ. Es war vollbracht, zumindest beinahe...Joanna hatte eine weitere Figur in sein tödliches Spiel eingeführt.
Die Sonne war mittlerweile längst untergegangen. Eine kalte, tiefdunkle Nacht war über dem Heebacha Tal hereingebrochen und der eisige Wind war ein Vorbote des trostlosen Winters, der hier bald herrschen sollte.
Kurz darauf entfernte sich ein Gleiter mit rasanter Geschwindigkeit vom Anwesen und schoss über die verlassene Trasse. Eine einsame Schneeflocke landete auf der Frontscheibe, gleich einer kristallinen Träne, die über dieses Tal ausgeweint wurde. Dann fegte sie der Wischer für immer davon.
Im Gleiter selbst war alles dunkel, nur das Navigationssystem lag in trüber Hintergrundbeleuchtung, die schwach zwei Zeilen erkennbar machte:
Dr. Milo Trench
Adultery Lane 43, Arvena City